Mittwoch, 21. November 2012

Vergessene Worte, rettende Worte

An: mich um nicht zu vergessen, und an euch, wenn ihr rettung braucht.


Der Mond schimmert durch mein Fenster. Der Sekundenzeiger meiner Uhr tickt unaufhörlich weiter. Und ich sitze hier. Das Gesicht in den Händen vergraben. Aufkommende Zweifel kämpfen meine Hoffnung nieder. Keine Ahnung, warum ich hier bin, und was ich hier tue. Ich sitze einfach nur da. Hebe den Kopf und schaue dem Mondschimmer zu, der wie ein Schleier durch das Zimmer wandert. Die Poster an den Wänden leuchten kurz auf und werden wieder von den Schatten verschlungen. Das Licht wandert über den Schreibtisch und legt sich über den Berg aus Zetteln und Texten darauf. Die Stifte liegen noch ungeordnet daneben. Über den Boden streifend, trifft das Licht auf den Spiegel. Es wird zurückgeworfen, beleuchtet die dunkle Silhouette dieser Person auf dem Bett. Ein Blick in den Spiegel, in die Augen die dir zurück blicken. Sie sagen dir, dass du etwas tun musst. Ich stehe langsam vom Bett auf und trete mit unsicherem Schritt auf mein Spiegelbild zu. Ich versuche ihm aus den Augen abzulesen, wie es der Person geht, die mir entgegenblickt. Doch alles, was ich sehe sind die starren Gesichtszüge und die müden Augen, die mir auf einmal so fremd vorkommen. Was sich dahinter abspielt bleibt verborgen. Was, wenn ich vergessen habe wer ich bin? Ich muss lächeln. In einem Moment in dem ein Lächeln vielleicht das letzte ist, was einem einfällt.  Ich erinnere mich daran, wie ich gedacht habe, dass ich der einzige bin der mich wirklich kennt. Aber jetzt bin ich mir auch nicht mehr sicher. Klarheit in meinem Kopf, das könnte ich jetzt gut gebrauchen. Antworten auf all meine Fragen. Mit einem Blick auf den Schreibtisch vergewissere ich mich, dass alles ok ist. Meine Gedanken sind noch da. Sauber aufgeschrieben und zusammen gefaltet liegen sie da. Alle, bis auf einen. Zerknittert und mit einem Riss liegt er in der staubigen Ecke. Vergessen.  Der offene Füller darauf.


Was, wenn?
Diese zwei Worte stehen darauf. Fast unleserlich. Und ich kann mich nicht erinnern, wann ich das aufgeschrieben hatte. Auch nicht einmal warum. Obwohl ich mir gesagt habe, dass ich nie vergessen will, was ich aufschreibe.
Dann schiebt sich eine Wolke vor den Mond. Und wie die Dunkelheit sich ausbreitet, wandert auch ein Schatten durch meinen Kopf. Die Silhouette eines Gedanken. Und krampfhaft suche ich nach einem Licht, das mir zeigt an was ich denke.
Die Uhr tickt unaufhörlich weiter.
Was, wenn?
Noch einmal lese ich die beiden Wörter. Was, wenn ich mir nicht mehr einfällt was ich damit sagen wollte? Was, wenn ich vergesse mich zu erinnern. Und was, wenn die Welt sich irgendwann nicht mehr erinnern kann? Wir tun so viel. Wir erleben so viele Dinge. Was, wenn wir uns irgendwann nicht mehr erinnern können, warum wir so viel erlebt haben? Das, ist das schlimmste, das ich mir vorstellen kann. Irgendwann nicht mehr zu wissen, warum ich so viel gemacht habe, oder warum ich geweint habe. Wenn ich mich nicht mehr erinnern kann, wie sich Freundschaft anfühlt. Oder das Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit. Ich will einfach nicht vergessen, wie es sich anfühlt, am Leben zu sein.
Deshalb schreibe ich. Ich schreibe alles auf, was ich fühle. Alles, was ich mich Frage, und alles, worauf ich schon eine Antwort gefunden habe. Ich erfinde Geschichten aus Situationen, die ich erlebt habe. Und ich erzähle. Ich erzähle den Leuten wovor ich Angst habe. Oder was ich mir Wünsche. Und oft stoße ich dabei auf Menschen, denen es so geht wie mir. Die Gespräche, die dann entstehen, helfen mir oft mich zu erinnern. Und auch das schreibe ich auf. Denn so kann ich immer sehen, dass ich nicht umsonst da bin. Ich kann mir immer wieder klar machen, dass man mir zuhört. Und dass man meine Texte liest. Es gibt nur wenige dinge die mich überglücklich machen. Eines ist das Erzählen. Und das Schreiben. Ich liebe es Leute mit Worten auf eine Reise einzuladen und ihre Gedanken zu entführen.  Und es hilft mir, nicht zu vergessen. So wie es anderen hilft, Antworten zu finden. Deshalb freue ich mich immer, wenn ich höre, dass meine Worte helfen. Und dann habe ich geschafft, was ich schaffen will.
Was, wenn deine Worte nicht umsonst sind? Was, wenn da draußen jemand ist, der sie braucht. Das sind meine Gedanken. Und wenn da draußen wirklich jemand meine Worte liest, sie in sich aufnimmt, wie ich es bei schreiben tue, und sie schließlich helfen. Dann bin ich glücklich. Denn dafür schreibe ich. Um Menschen eine Umarmung zu schenken, wenn sie eine brauchen. Und um ihnen ein Licht zu schenken, wenn sie in der Dunkelheit sitzen.

Das Mondlicht scheint durch die Wolken. Ich setzte mich, nehme ein Blatt Papier und einen Stift. Ich schreibe diese Worte auf.  Um sie nicht zu vergessen. Es hilft auch mir, wenn ich schreibe und wenn ich hören darf, dass ich helfen kann. Denn: Was, wenn ich diese Worte irgendwann einmal jemandem erzähle und sie helfen. Was, wenn irgendjemand das hier liest und sich dadurch besser fühlt, weil er merkt, dass er nicht alleine ist? Jeder soll sich einmal Gedanken machen, was passiert wenn man schreibt und erzählt. Man sollte sich überlegen was Worte bewegen können. Denn auf Worte können Taten folgen. Man kann andere und sich selbst kennenlernen. Und Klarheit in der eigenen Gefühlswelt schaffen. Deshalb schreibe ich diese Briefe. An euch, um euch zu helfen. Und an mich, um mich zu erinnern. Daran, warum ich diese Worte aufgeschrieben habe. Ich erinnere mich an die Erlebnisse die diese Worte geformt haben und ich mache mir bewusst, dass die Worte nicht verschwendet sind. Deshalb sitze ich hier und schreibe Wort für Wort. Lese alles noch einmal, lasse es durch meinen Körper fliesen. Ich setze meinen Namen darunter und einen Gruß. Dann lege ich den Stift weg, schaue noch einmal auf den Mond und danke dafür, dass ich sein Licht spüren darf. Dann lege ich mich ins Bett, schließe die Augen und schlafe ein. Ohne den Brief zusammen zu falten und wegzuräumen. Denn: Was, wenn ihn jemand lesen möchte? Ich lasse den Brief offen. Denn: Was, wenn der Brief mit seinen Worten, jemanden rettet?..

Keine Kommentare: