Dienstag, 5. April 2016

Endorphinbaterrie



Es ist die Frage nach dem Glück im Leben, nach dem Rezept zum Glücklichsein, die selbst die klügsten Männer der Weltgeschichte verzweifeln ließ und auch immer noch lässt. Nur über wenig Anderes wurde so oft diskutiert und philosophiert. Doch alles Grübeln hat noch kein Handbuch zum Glücklichsein hervorgebracht. Wie denn auch? Hier auf der Straße lässt es sich aber auch eher weniger gut nachdenken. Begeben wir uns doch erst einmal gemeinsam in ein kleines, etwas in die Jahre gekommenes Café am Straßenrand, setzen uns in den Schatten, halten dennoch die Nase etwas in die Sonne und beobachten die vorbeiziehenden Menschen während wir auf eine bereits bestellte Erfrischung warten. Halten wir einmal Ausschau nach einem Rezept zum Glücklichsein, einer Möglichkeit auf Knopfdruck glücklich zu sein. Halten wir Ausschau nach einer Endorphinbatterie.

Wenn man die vorbeiströmenden Menschenmassen so beobachtet bemerkt man recht schnell wie unterschiedlich die Menschen alle sind. Zum Beispiel läuft dort hinten an der Ecke ein hoch gewachsener Mann in Anzug und Krawatte mit schnellem Schritt an einer eher kleineren Frau vorbei, die ihr ungeduldiges, noch junges Kind an der Hand hält. Und so verschieden wie diese Menschen sind, sind es auch ihre Vorstellungen von Glück. Der Mann zum Beispiel. Was bedeutet es für ihn glücklich zu sein? Nun eventuell hatte er heute Morgen beim Anzug anziehen bemerkt dass seine Lieblingskrawatte nicht im Schrank hing, was ihm den Tag schon fast vermiest hätte. Doch er fand sie dann doch auf dem Kleiderstapel im Wohnzimmer,- fertig gebügelt. Beim Anblick der Krawatte hat sein Körper ganz viele kleine Endorphine ausgeschüttet. In diesem Moment war er glücklich, weil er das anziehen konnte was ihm gefällt und worin er sich wohlfühlt. Das hat dann möglicherweise auch dazu geführt dass er hoch motiviert zur Arbeit erschienen ist und sich sofort für ein Beratungsgespräch bei einem Kunden angeboten hat. Sollte dies heute Mittag erfolgreich sein wird er mit Sicherheit auch wieder voller Endorphine sein und ganz glücklich sein etwas erreicht zu haben, und natürlich auch weil er sich auf seine Prämie freut.
Der Mann ist jetzt um die Ecke verschwunden und die Frau kommt mit ihrem Kind an uns vorbei. Wir sehen dass der Kleine quengelt und fast anfängt zu weinen. Seine Mutter ist sichtlich genervt und unruhig. Wie sieht wohl ihre Vorstellung von Glück aus? Es ist wohl offensichtlich, dass eine gebügelte Lieblingskrawatte und ein Geschäftsmeeting sie nicht wirklich glücklich machen würden. Ihr würde vermutlich eine Auszeit gut tun. Wir wissen ja nicht ob sie schon den ganzen Tag und vielleicht auch die Nacht davor mit ihrem weinenden Sohn zu kämpfen hatte. Aber ein bisschen Ruhe, ein Moment zum abschalten, in dem sie sich um nichts sorgen oder kümmern muss würden ihr bestimmt gut tun. Nun gut, wir beschließen ihr also eine Freude zu machen und sprechen sie an ob sie nicht vielleicht Lust hat sich mit ihrem Sohn zu uns zu setzen. Siehe da, sie nimmt die Einladung dankend an und setzt sich. Wir bestellen ihr also einen Kaffee und nehmen den kleinen Jungen zwischen uns. Es ist schon alt genug um zu sprechen und fragt uns wer wir seien. Aus der dabei zustande kommenden Unterhaltung erfahren wir das seine Mutter alleinerziehend ist und das er, der Sohn, eigentlich gar keine Lust hatte heute nach draußen zu gehen. Doch wir wissen wie wir Kinder glücklich machen können und bestellen ihm ein Schokoladeneis. Es verfehlt seine Wirkung nicht: Strahlende Augen, Endorphine im Körper und eine verschmierter Mund voll Schokolade. Die Mutter sieht ihr Kind gut behütet und fragt ob sie schnell ein paar Einkäufe erledigen könnte. Wir haben damit kein Problem und passen solange auf den Kleinen auf. Somit haben wir der Mutter ein paar ruhige Minuten verschafft und auch sie glücklich gemacht. Zusammen mit dem schmatzenden Jungen beobachten wir weiter die Leute. Wir sehen ein paar Teenager mit Handys. Ein Mädchen lächelt beim Blick auf den Bildschirm, vielleicht eine Nachricht vom Schwarm, die sie so glücklich macht? Ein Junge neben ihr schaut eher traurig auf sein Handy. Vielleicht hat er eine Absage bekommen oder der Akku ist fast leer. Wir wissen es nicht genau aber wir erkennen, dass Glück und Unglück ziemlich nah bei einander liegen können. Unser Blick streift weiter durch die Umgebung. Ein paar Meter entfernt von uns sitzt ein etwas älteres Rentnerpärchen auf der Holzbank zwischen den beiden Rosensträuchern. Sie betrachtet verträumt die Blumen während er sie schwärmend anschaut. In diesem Moment sind wohl beide durchaus zufrieden und glücklich. Sie genießen das Leben in vollen Zügen und auch ihre Zweisamkeit. Liebe zueinander macht sie glücklich. Und wenn ich ehrlich bin, mich auch etwas. Es ist einfach toll anzusehen wie Menschen lächeln und zeigen dass es ihnen gut geht. Als ich die anderen von unserer Gruppe auf das Pärchen aufmerksam mache stoße ich auf „ooooohs“ und „Oh wie süß“ Aussagen. Ich bin also nicht allein. Unser kleiner Kumpel zwischen uns ist mit seinem Eis fertig und beobachtet nun mit uns zusammen die Menschen. Plötzlich zupft er mich am Ärmel und zeigt mir einen jungen Mann, vielleicht ein Student, der mit Kopfhörern die Straße entlang läuft und kurz in der Sonne stehen bleibt. Er holt das Handy aus der Tasche, ändert den Song und läuft weiter, direkt an uns vorbei, bis er auf einmal anfängt zu hüpfen, Tanzen und zu singen. Es klingt etwas schräg und als er bemerkt hat, dass er laut gesungen hat, schaut er etwas beschämt zu uns. Doch ich signalisiere ihm dass alles Super ist und mit einem Lächeln bemerke ich seinen guten Musikgeschmack. Ihn macht Musik also so glücklich, dass er es gar nicht verbergen kann. Und ja, mich hat es wieder gefreut zu sehen dass er sich wohl fühlt. Der Kleine neben mir anscheinend auch. Er springt auf rennt zu dem jungen Mann und beginnt mit ihm zu Tanzen, insofern man das Gehüpfe Tanzen nennen darf. Ehe wir uns versehen kommen noch ein paar Leute dazu, einer hat mobile Lautsprecher dabei und schon beschallt die Musik den Platz und man tanzt ausgelassen dazu. Ganz ohne Grund, junge und alte Menschen und jeder mit jedem. Ein wundervolles Bild. Der Anzugträger von vorhin ist auch dabei und schenkt mit einem breiten Grinsen seine Krawatte dem jungen Mann, der sie überaus dankend annimmt. Dann kommt auch noch die Servicekraft des Cafés zu uns und meint so einen aufregenden Tag hatte sie schon lange nicht mehr. So kommt es, dass sie dann ihre restlichen Bestellungen leicht tanzend serviert. Damit hat der Student ihren öden Tag wohl etwas aufgeheitert. Im ganzen Trubel haben wir nicht mal gemerkt, dass die Mutter des Kleinen zurück gekommen ist, mit einem großen Lächeln im Gesicht. Sie bleibt noch etwas bei uns sitzen und meint, dass sie es erstaunlich findet wie leicht man jemanden glücklich machen kann. Und auch ihr Sohnemann läuft strahlend auf sie zu und erzählt ihr wie viel Spaß er mit uns hatte. Er sieht dann doch ein, dass er Glück gehabt hat, dass er das Haus mit seiner Mutter verlassen musste und dadurch uns getroffen hat. Wir bekommen leicht rote Wangen, denn das macht uns dann doch etwas Stolz und, wie sollte es auch anders sein?- Glücklich.

 Es ist nicht das was wir wollen, was uns glücklich macht, sondern das was wir haben und das was wir bekommen ohne es zu erwarten. Glück lässt sich nicht pauschalisieren und auch nicht für alle Menschen gleich definieren. Doch alle Menschen können auf die unterschiedlichsten Arten glücklich sein und auch andere glücklich machen. Viel gehört nicht dazu, meistens nur ein kleines Lächeln oder ein Sprung über den eigenen Schatten. Eine Sache ist aber noch ganz wichtig. Wenn ich glücklich sein will, dann muss ich das Glück auch zu lassen. Ich entscheide für mich selbst was mich glücklich macht. Es ist egal wer ich bin, wo ich bin und wie ich bin. Äußere Umstände haben erst einmal keinen Einfluss auf unser Fühlen. Entscheidend ist, wie ich über das Glücklichsein denke. Wie wir bei den ganzen Menschen, die an uns vorbei gegangen sind, gemerkt haben, können alle unterschiedlichen Menschen trotz ihrer Verschiedenheit  zusammen glücklich sein. Und vielleicht machen sie auch ganz ohne große Mühe auch andere glücklich. Im Notfall hilft auch Schokolade. Doch geteilt mit anderen ist sie noch viel besser. Denn im Gegensatz zu Schokolade ist Glück etwas, das sich verdoppelt wenn man es teilt. Aber seien wir jetzt mal ehrlich: Eine Endorphinbatterie gibt es nicht, aber die brauchen wir auch überhaupt nicht. Denn wir sind für uns selbst und für jeden Menschen, dem wir begegnen, eine Möglichkeit und ein Handbuch zum Glücklichsein. Wir können der Grund sein warum andere Menschen glücklich sind. Wir sind für Jeden eine niemals leer werdende Endorphinbatterie. Wir müssen uns nur anschalten.

Keine Kommentare: